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Leuchten wie Glühwürmchen

Lichtplaner und Architekt Emlyn Étienne Goronczy über Lichtverschmutzung – und Wege, diese zu reduzieren

Klimawandel, Plastikmüll im Meer, kontaminiertes Grundwasser: Wo der Mensch ist, sind Umweltprobleme meist nicht fern. Seit Jahren lässt sich mit der weltweit zunehmenden Lichtverschmutzung ein weiteres Phänomen beobachten. Emlyn Étienne Goronczy hat mit einer Studie zur Situation speziell in Metropolen eine grundlegende Analyse- und Lösungsmethode geschaffen – und findet in seinen eigenen Lichtprojekten immer wieder innovative Ansätze zur Eindämmung des Problems.

Herr Goronczy, bei einem Teil Ihrer Arbeit als Lichtdesigner könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie Licht eher vermeiden möchten. Ist Licht nicht einfach etwas Schönes?

Ja, Licht ist etwas Schönes, aber nur in der richtigen Dosis. Bei einem schönen klassischen Gebäude zum Beispiel nützt es nichts, alles gleichmäßig mit einem Scheinwerfer auszuleuchten. Dann kann es passieren, dass man die Details gar nicht mehr sieht. Deshalb muss man immer mit unterschiedlichen Helligkeiten oder Dimmstufen arbeiten. Bei der Ausleuchtung von Gebäuden setzen wir die architektonischen Details in Szene, die wir betonen wollen, indem wir sie zum Beispiel etwas heller ausleuchten als andere Bereiche. Besonders wichtig ist uns die architektonische Geste, also das, was der Architekt ausdrücken möchte. Das versuchen wir mit dem Licht zu unterstützen.

Emlyn Étienne Goronczy ist studierter Master of Science der Architektur mit dem Schwerpunkt Lichtplanung und arbeitet als Lichtdesigner für das international agierende Planungsbüro Studio DL. Neben der Innenraumbeleuchtung und der urbanen Lichtplanung im Außenraum bildet die Prävention von Lichtverschmutzung einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Seine Projekte liegen hauptsächlich in Deutschland und in den Niederlanden.

Als eines der wenigen Lichtplanungsbüros verfügen wir außerdem über die Möglichkeit, ortsauflösende Leuchtdichteaufnahmen zu produzieren. Mit diesen Aufnahmen können wir die Kontrastverhältnisse am Gebäude detailliert erfassen und so die wahrnehmungspsychologisch notwendigen Helligkeitswerte eindeutig bestimmen. Dadurch setzen wir nur so viel Licht ein, wie es wirklich nötig ist. Das ist dann mehr Gewinn für die Architektur und auch für die Umwelt. Weniger ist da einfach mehr.

Mit der Umwelt meinen Sie das Thema Lichtverschmutzung. Vielen ist dieser Begriff noch nicht so geläufig. Was ist damit gemeint?

Das ist ein sehr komplexer Begriff. Die meisten verstehen darunter die exorbitante Menge an Licht, die den Urban Sky Glow verursacht, also die Lichtglocke über einer Stadt in der Nacht. Aber eigentlich muss man die Lichtverschmutzung noch in weitere Kategorien unterteilen.

Beispielsweise das Light Trespassing, das entsteht, wenn bestimmte Lichtquellen falsch positioniert bzw. orientiert sind. Sie wollen beispielweise eine Dachkante ausleuchten, leuchten aber nicht nur die Dachkante aus, sondern die Hälfte des Lichts geht direkt in den Himmel. Glare ist eine weitere Kategorie. Es steht für die physische oder psychische Blendung des Menschen durch Licht. Dann gibt es die Cluttering-Effekte. Clutter entsteht, wenn viele Lichtquellen einfach falsch geplant sind, zu eng beieinanderstehen und so eine unnötig überhöhte Lichtmenge emittieren. Am Ende resultiert alles in einer übermäßigen Ausleuchtung, die zu ganz vielen Problemen bei vielen Organismen führt.

Eine der Folgen der Lichtverschmutzung ist, dass man die Milchstraße nur noch an entlegenen Orten in der Welt sehen kann und der Sternenhimmel generell immer blasser wird. Das könnte man vielleicht noch verschmerzen.

Als Mensch könnte man das vielleicht noch verschmerzen. Zugvögel beispielsweise orientieren sich aber an den Sternen. Wenn der Blick zu den Sternen nicht mehr gegeben ist, funktioniert das nicht mehr. Noch wichtiger ist, dass die biologische Uhr durch die Lichtverschmutzung komplett durcheinandergerät, insbesondere durch eine erhöhte unnatürliche Menge an kaltweißem Licht mit hohem Blauanteil. Und zwar sowohl bei Menschen als auch bei Vögeln, Insekten und anderen Organismen, die sich an dieser Hell-Dunkel-Phase orientieren.

Da es durch das Kunstlicht länger hell ist, verlängert sich die Aktivphase von Insekten. So verbrauchen diese mehr Energie, als sie aufnehmen, was tödlich enden kann. Auch auf den Menschen hat die Lichtverschmutzung unmittelbare negative Auswirkungen. Licht kann nicht nur unangenehm blenden, insbesondere bei starken nächtlichen Kontrasten. Zu viel künstliches Licht in der Nacht kann auch zu einer Unterdrückung der Melatoninproduktion führen, was in Studien mit Diabetes, Krebs und Herzinfarkt in Verbindung gebracht wird.

Vögel schätzen anhand der Tages- und Nachtlängen ab, in welcher Jahreszeit sie sich befinden und bestimmen danach den Zeitpunkt des Brütens. Ein verfrühtes Brüten kann negative Auswirkungen auf die Nachkommen haben, besonders wenn dies in den kalten Wintermonaten stattfindet. Lichtstrahlen von beleuchteten oder hinterleuchteten Fassade wirken außerdem anziehend auf Vögel, was immer wieder zu Massenkollisionen führt. All das sind nur Beispiele. Am Ende ist es ein ganzer Rattenschwanz an negativen ökologischen Veränderungen, der da produziert wird.

Bei der Wahrnehmung und Wirkung von Licht bestehen dann auch noch Unterschiede zwischen Menschen, Vögeln und Insekten. Zum Beispiel können Leuchten, die für das menschliche Auge weniger hell erscheinen, für Insekten extrem hell wirken.

Ja, grundsätzlich ist es auch so, dass Insekten den Blauanteil im Lichtspektrum viel stärker wahrnehmen. Deswegen werden sie von Lichtquellen mit erhöhtem Blauanteil im Spektrum stärker angelockt und deshalb sind warmweiße Leuchten im Prinzip besser. Das Paradoxe an der Sache ist aber: Die Farbtemperatur hat nicht unbedingt eine Korrelation zu dem Blauanteil einer Leuchte. Für das menschliche Auge sieht beispielsweise eine Leuchte mit 4000 Kelvin kühler aus als eine mit 3000, das sagt aber nichts über den Blauanteil aus. Als Planer muss man sich deshalb eigentlich zusätzlich ein Spektrometer zur Hand nehmen, bevor man irgendeine Leuchte verplant, um eine vernünftige ökologische Lösung zu finden. Noch komplexer kann es mit der Flora sein, da es Baumarten gibt, die empfindlich auf den Rotanteil im Spektrum reagieren.

Wir können deshalb immer nur Kompromisslösungen finden. Nirgends wird man 100 % erreichen. Dafür ist die Welt zu komplex, da sind zu viele Protagonisten. Wir schauen uns bei jedem Projekt die Umgebung an, gehen in Kommunikation mit den Biologen und, so gemein das auch klingen mag, stellen dann eine Prioritätenliste auf. Interessenkonflikte bleiben trotzdem. Die andere Lösung wäre, das Licht komplett auszumachen, aber das geht nun mal in vielen Fällen nicht. Vor allem nicht in der Straßenbeleuchtung, wenn wir von sicherheits­relevanten Beleuchtungsstärken reden.

Wie lässt sich das Ausmaß der weltweiten Lichtverschmutzung messen?

Über Satellitenbilder. Die geben einen guten Überblick über die Gesamtmenge, darüber, wie viel Strahlung Richtung Himmel abgegeben wird. Was einem die Satellitenbilder allerdings nicht zeigen, ist ein Lösungsansatz. Warum ist zum Beispiel diese Straße so viel heller als die andere Straße?

Für Ihre Studie zur Lichtverschmutzung in Metropolen sind Sie deshalb auch direkt in Städte wie New York, Toronto und Warschau gereist. Welche Ursachen für die Lichtverschmutzung haben sie feststellen können?

Die Ursachen sind sehr ortsspezifisch, jede Stadt hat ihre eigenen Probleme. Mit dem bloßen Auge lässt sich das oft nicht identifizieren. Ganz häufig sehen gewisse Straßenzüge relativ dunkel aus. Wenn man sich dann aber die Leuchtdichteaufnahme anschaut und mit dem Straßenquerschnitt in Verbindung setzt, merkt man auf einmal, dass Boston zum Beispiel mehr Lichtemissionen hat als New York.

In New York haben wir hohe Highriser (Anm. d. Red.: gemeint sind die Wolken­kratzer). Das sind alles Bürogebäude und die arbeiten da teilweise bis tief in die Nacht. Es ist schließlich „the city that never sleeps“. Durch diese hohen Gebäude mit den hinterleuchteten Fenstern wird in New York ein Großteil des Gesamtlichtes in Richtung Atmosphäre verursacht. In Boston dagegen sind die Gebäude niedriger und die Baudichte ist nicht so groß. In Boston sind es deshalb Schaufenster, Eingänge und in den Nebenstraßen auch Cluttering-Effekte.

Hinterleuchtete Fensterfassaden, Firmenlogos und helle Schaufenster: Eine Leuchtdichteaufnahme in New York Midtown macht unterschiedliche Aspekte der Lichtverschmutzung detailliert sichtbar.

Die hellen Schaufenster in New York sind also nicht so schlimm wegen der hohen Gebäude und der vielen absorbierenden Flächen?

Wenn wir nur über den Urban Sky Glow sprechen, also das Licht, das in die Atmosphäre geht, ja. Das Licht der Schaufenster in New York wird in den urbanen Raum getragen und dann haben Sie ganz viele Flächen, die die Möglichkeit haben, das Licht zu absorbieren. Aber: Das Licht, das dort unten generiert wird, zieht ja auch wieder Insekten an. Es bleibt also trotzdem ein Problemfeld.

Für einen Vergleich der Metropolen haben Sie einen eigenen Bewertungsmaßstab entwickelt, die gewichtete urbane Gesamtleuchtdichte (guG). Das Resultat: Warschau produzierte von den untersuchten Städten mit Abstand am meisten Lichtverschmutzung, also mehr noch als Boston und New York. Das überrascht dann doch. Was ist der Grund?

Das übermäßige Cluttering und die enormen Lichtemissionen, die dadurch entstehen. Warschau ist auch extrem bestückt mit beleuchteten Werbeflächen. Die sollen natürlich Aufmerksamkeit erregen und sind deshalb auch noch besonders hell.

Vor allem durch Cluttereffekte und Werbereklame 
trauriger Spitzenreiter in der Studie: die polnische 
Hauptstadt Warschau.

Was die Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung betrifft, lässt sich aus Ihren bisherigen Ausführungen so ja schon einiges ableiten.

Die beste Lösung ist die Dimmung. Das muss ich betonen und unterstreichen. Sie ist der größte Hebelarm, weniger Licht hat einen größeren Impact als der Blauanteil. Für das Ökosystem ist das beste Licht natürlich immer noch gar kein Licht. Aber man muss ja den Kompromiss finden zwischen relevanter Beleuchtung und den ökologischen Aspekten.

Eine sehr starke Maßnahme ist auch eine vernünftige Planung und Umsetzung. Dass man sich vorher die Bedürfnisse des Planungsgebietes anschaut und dahingehend die Planung macht. Dazu gehört dann die erwähnte Spektralanalyse der Lichtquellen. Dann ist es sehr wichtig, dass die Lichtpunkte im besten Falle gar nicht sichtbar und relativ weit unten positioniert sind, damit Insekten gar nicht erst von einem weit entfernten Lichtpunkt getriggert werden. Es geht also sehr viel in die Richtung, Licht unsichtbar zu machen und nur dort Licht zu haben, wo man es benötigt. Auch zeitlich gesehen – also wieder das Thema Dimmung.

Nirgendwo muss ich eine schöne Gebäudefassade anleuchten, wenn da nicht auch gerade Publikumsverkehr ist. Das ist ja nicht nur sehr fragwürdig, was die Lichtverschmutzung betrifft, sondern auch, was den Stromverbrauch angeht. Wenn man eine Planung hat, die sehr gut für das Ökosystem ist, dann ist es auch meistens eine Planung, die sehr wirtschaftlich ist, weil sie weniger Strom verbrauchen wird. Also auch da das Stichwort Dimmung oder, wenn möglich, das komplette Ausschalten.

Urbane Räume, so schreiben Sie in Ihrer Studie, müssen aus Ihrer Sicht nachts nicht dieselbe Erscheinung haben wie am Tag. Lichtdesign ermögliche es, die Lichtverschmutzung zu reduzieren und dennoch urbane Identitäten zu schaffen. Ihr Vorbild sind Glühwürmchen.

Ja, ich glaube, dass ist ein sehr, sehr schönes Bild, und so sehe ich persönlich auch Lichtplanung. Ein Glühwürmchen sieht am Tage anders aus als in der Nacht. Am Tag ist es ein ganz normales Insekt, und vielleicht ekeln sich einige Leute sogar vor dem Erscheinungsbild des Glühwürmchens. Aber am Abend wirkt dieses Insekt so magisch, obwohl es ja wirklich nur ein Lichtpunkt ist. Man sieht nur einen Bruchteil des Insekts. Das ist eine Philosophie, die ich in meinen Lichtplanungen gerne übernehmen möchte.

Wenn Sie sich eine Kirche anschauen: Ja, am Tage sieht sie imposant aus und schön. Aber warum muss man sie am Abend genauso darstellen, wie man sie am Tage gesehen hat? Es ist doch viel charmanter, wenn man besondere architektonische Elemente hervorhebt. So können Sie die Kirchen noch einmal neu erleben. Dann entsteht auch auf emotionaler Ebene vielleicht das Gleiche wie bei den Glühwürmchen. Dass man so ein bisschen Gänsehaut bekommt, weil das Ganze ein Stück weit erhabener ausschaut.

Sie haben im Rahmen Ihrer Studie auch positive Beispiele finden können, wie zum Beispiel die High Line in New York, das Gleisbett einer ehemaligen Hochbahn, das inzwischen zu einem Naherholungsraum umgestaltet wurde.

Ich weiß gar nicht, ob der Lichtplaner den ökologischen Aspekt vor Augen hatte. Was aber einfach sehr positiv war, sind die niedrigen Lichtpunkte, die dort verwendet wurden. Das Ganze ist sehr smart geplant. Die Idee war, die Stadt New York selbst, also das urbane Umfeld als Bühne darzustellen. Das bedeutet, wenn Sie auf der High Line sind, dürfen Sie nicht geblendet werden. Die Lichtpunkte dort sind deshalb so niedrig, dass selbst Menschen in einem Rollstuhl diese nicht sehen. Das hat natürlich auch einen guten ökologischen Aspekt, denn die Lichtpunkte sind so auch für Insekten von Weitem weniger sichtbar.

Zum anderen ist die Beleuchtungsstärke so gering, dass man von der High Line in den urbanen Raum reingucken kann. Es gibt so gut wie keine Beleuchtung in den Wegen, sie ist viel mehr ausgerichtet an Besonderheiten. Wenn da beispielsweise eine Sitzbank ist, dann ist diese als Orientierung ausgeleuchtet, auch wieder mit niedrigen Lichtpunkten. Das zeigt auch, dass diese hohen Beleuchtungsstärken, diese Homogenität, die man vielleicht für einen Weg im Park nutzen würde, gar nicht erforderlich ist. Man braucht einfach nur beleuchtete Orientierungspunkte, um sich sicher fortbewegen zu können.

Für das Insektentracking in Heiningen wurde ein neues Verfahren entwickelt. Unterhalb des Kopfes der Straßenleuchte befinden sich hierfür eine Kamera (rechts) und ein weißer Screen (links). Die KI-gestützte Software erfasst ein Insekt automatisch, sobald es vor dem Screen erscheint.

Die Reduzierung der Lichtverschmutzung bildet bei Ihren eigenen Projekten als Lichtdesigner ebenfalls einen Schwerpunkt. Zuletzt haben Sie damit im Team mit mehreren Partnern den 2. Platz beim bundesweiten „Innovationspreis Reallabore“ belegt, ausgezeichnet durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Wie und wo ist Ihnen das gelungen?

Das Projekt ist in Heiningen, einer kleinen Stadt in Baden-Württemberg mit rund fünfeinhalbtausend Einwohnern. Aus diesem eigentlich relativ kleinen Projekt ist eine Studie geworden, die heute vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg unterstützt wird. Ursprünglich ging es darum, die Straßenbeleuchtung für die Durchfahrtstraße in Heiningen mit neuen LED-Leuchten zu planen. Dann kam die Idee, das Ganze mit Dimmung noch effizienter und ökologisch verträglicher zu machen. Daraus ist eine einjährige Langzeitstudie geworden, die es so noch nicht gegeben hat.

Dabei gab es unterschiedliche Ideen, wie man diese Dimmung steuert. Ob wir einfach zeitlich dimmen, also ab 22 Uhr Dimmwert XY nehmen und ab 4 Uhr wieder hochdimmen. Oder ob wir bei weniger Straßenfluss runterdimmen. Also eine Dimmung, die sich an den Verkehrsstrom anpasst, in der Hoffnung, dass das noch effizienter und ökologischer wird. Wir haben uns entschieden, beides zu testen. Deshalb gibt es Messpunkte ohne Dimmung, mit zeitabhängiger Dimmung und verkehrsdynamischer Dimmung. In der Studie gibt es dann einen technischen und einen biologischen Part.

Vielleicht erklären Sie zuerst den technischen Part.

Der technische Part befasste sich zunächst damit, wie wir den Verkehrsfluss eigentlich messen können. Hierfür haben wir drei Ansätze getestet. Einmal gab es ein Tracking über Bluetooth, das erfasst, wie viele Bluetooth-Geräte unterwegs sind. In einem Auto geht man ja davon aus, dass der Fahrer ein Smartphone hat, und das Auto vielleicht auch selber Bluetooth-Signale sendet. Die zweite Methode war eine Infrarot-Kamera, die die Wärme der Autos aufnimmt. Die dritte Methode war die Auswertung von TomTom-Navigationsdaten. Alle Methoden waren relativ gut. Aber das Bluetooth-Tracking ist am Ende als Sieger hervorgegangen.

Dann ging es darum herauszufinden, was effizienter ist: Der Straßenabschnitt mit zeitlicher oder der mit verkehrsabhängiger Dimmung. Im Ergebnis war das verkehrsdynamische Dimmen marginal sparsamer. Dazu muss man aber sagen, dass es eine relative kurze Durchfahrtsstraße ist. Wenn man es hochskaliert, könnte das verkehrsdynamische Dimmen noch mehr Sinn machen.

Beim biologischen Part ging es dann um die Insekten.

Genau, das Insekten-Tracking. Wir wollten wissen, wie viele bzw. wie wenige Insekten durch die Dimmung bzw. Nicht-Dimmung angelockt werden. Dies haben wir an drei Punkten gemacht: Im Stadtkern ohne Dimmung und zwei weiteren Punkten mit statischer, zeitabhängiger Dimmung um 50 % zwischen 22 und 4 Uhr. Dafür mussten die Standorte natürlich vergleichbar sein, sowohl von der Lichttechnik als auch von der Biodiversität. Wir sind dafür in Kontakt getreten mit einer Biologin, die uns die biologische Vergleichbarkeit der Orte bestätigt hat.

Für das Insektentracking haben wir mit dem Kamerahersteller ein neuartiges Verfahren entwickelt. Beim sonst üblichen Verfahren wird unterhalb des Kopfes einer Straßenleuchte ein transparenter Plastikkorpus aufgehängt, in dem die Insekten eingefangen werden und am Ende sterben. Er verfälscht durch seine Reflektionen außerdem die Beleuchtung bzw. die Lichtverteilungskurve und lockt so gegebenenfalls mehr Insekten an, als die Leuchte allein es täte. Sowohl lichttechnisch als auch ökologisch eine unvertretbare Methode.

Wir verwenden Insektenkameras aus Holland, die ursprünglich entwickelt wurden, um die Biodiversität in einer bestimmten Region zu erfassen. Zum Messaufbau gehört ein Screen aus Blech, damit die Kamera einen Hintergrund hat. Der Screen ist unterhalb des Leuchtenkopfes montiert. Sobald ein Insekt vorbeifliegt, wird es durch eine KI-Software automatisch erfasst und eingeordnet in die jeweiligen Insektengruppen. Sollte sich am Ende beispielsweise herausstellen, dass hier eine besonders schützenswerte Insektenart lebt und angelockt wird, ließe sich das Spektrum gegebenenfalls auf deren individuelle Bedürfnisse anpassen. Mit diesem Aufbau haben wir einen Riesenfortschritt gemacht.

Das Tracking fand an drei ökologisch vergleichbaren Standorten an der Durchfahrtsstraße in Heiningen statt. 
Nur die Lichtsteuerung unterscheidet sich:

A = ohne Dimmung
B = Auf 50 % gedimmt zwischen 22 und 4 Uhr
C = Auf 50 % gedimmt zwischen 22 und 4 Uhr

An Messpunkt A wurden in der Stichprobe innerhalb 
eines Monats 700 Insekten erfasst, am in der Nähe liegenden Messpunkt B 200, am weiter entfernten Messpunkt C nur 84.

Und welches Ergebnis hat das Insektentracking gebracht?

Die über 350.000 Datensätze, die wir in dem Verlauf eines Jahres gesammelt haben, werden derzeit noch analysiert, das Gesamtergebnis steht also noch aus. Wir haben aber eine Stichprobe gemacht. Die Stichprobe unterstreicht und bestätigt unsere Hypothese, dass weniger Licht auch weniger Insekten anlockt. Das bestätigen auch andere Studien.

Wo nicht gedimmt wird, haben wir über den Zeitraum eines Monats gut 700 Insekten erfasst. An einem zweiten Punkt mit zeitabhängiger Dimmung sind es 200 Insekten. Dieser liegt allerdings noch in der Nähe des Punktes ohne Dimmung und wird von dessen Beleuchtung entsprechend beeinflusst. Am dritten, deutlich entfernt liegenden Punkt, an dem zeitabhängig voll gedimmt wird, sind es nur 84 Insekten. Und es ist eine Win-Win-Situation: Es spart Strom und rettet gleichzeitig Insektenleben.

Ein tolles Projekt, das der Bürgermeister von Heiningen auch als Pilotprojekt für größere Dimensionen einschätzt.

Was mir wirklich Spaß macht, ist, die Kompromisslösung herauszuarbeiten. Und die ist überall anders. Kein Projekt kann man einfach auf das andere Projekt draufkopieren. Die Detektivarbeit, die Abstimmungsarbeit. Das ist anstrengend, aber motivierend.

Ein anderes interessantes Projekt entwickeln wir gerade in Amsterdam. Dort haben wir die Aufgabe bekommen, sämtliche Windmühlen auszuleuchten. Diese Windmühlen sind nicht immer im urbanen Kontext wiederzufinden, sondern häufig in einem Umfeld lokalisiert, wo es viele Naturräume gibt. Einige Windmühlen sind auch im Natura-2000-Gebiet, also einem Naturschutzgebiet. Das bedeutet, dass die Ausleuchtung dort mit einem großen Fokus auf das Ökosystem ausgerichtet werden soll. Unsere Lösung ist also auch hier, die Sache so stark wie möglich herunterzudimmen.

Wie sind sie vorgegangen?

Auch hier wollen wir die Architekturgeste unterstreichen. Was ist für uns das Wichtigste an einer Windmühle? Das ist einmal der Bereich, wo die Ruten des Windrads zusammenkommen, der sogenannte Wellenkopf, weil der nämlich häufig sehr schön verziert ist. Und natürlich auch ein bisschen der Körper.

Um die Mühlen herum gab es bereits vier bis sechs Lichtpunkte. Die haben die Mühle früher als Ganzes von allen Seiten ausgeleuchtet. Wir dagegen haben die Lichtpunkte steuerungstechnisch in unterschiedliche Segmente unterteilt. Das Ziel: Wenn sich der Mühlenkopf um die eigene Achse dreht, sollen nur die Leuchten angehen, in deren Richtung sich der Wellenkopf gerade wendet.

Dreht sich der obere Teil der Mühle nach dem Wind, gehen nur die Leuchten an, in deren Richtung der Wellenkopf zeigt. Steht er zwischen zwei Leuchten, leuchten beide – aber entsprechend gedimmt.

Das klingt auf jeden Fall effizient.

Im oberen, sich drehenden Teil der Mühle ist dafür ein Kompass verbaut. Der Kompass gibt an, in welche Richtung die Mühle gerade gedreht ist, und gibt das Signal weiter an die einzelnen Leuchten. Diese sind drahtlos miteinander verbunden. Und anhand der Kompassdaten gehen nur die Leuchten an, die gerade angehen sollen. Befindet sich der Wellenkopf zwischen zwei Leuchten, scheinen diese mit jeweils 50 % Lichtleistung. So haben wir immer nur dort Licht, wo wir Licht auch benötigen. Das ist wieder ein Miniprojekt, in das relativ viel Hirnschmalz und Engineering reingesteckt wurden, um so wenig Licht wie möglich zu produzieren. Und es ist auch wieder eine Neuentwicklung, die es so nicht gibt auf dem Markt.

Was alle anderen Projekte allgemein angeht: In den Leuchten, die wir in der Planung einsetzen, sind DALI-Vorschaltgeräte Standard. Bei jeder Außenraumbeleuchtung, die wir planen, haben wir ein Dimmszenario hinterlegt. Es gibt kein Projekt, wo die Beleuchtung zu 100 % die ganze Nacht durchläuft. Es gibt immer einen Zeitpunkt, zu dem das Licht gedimmt wird, und je nach Gebäude oder Objekt meistens einen zweiten Zeitpunkt, zu dem die komplette Beleuchtung ausgeht.

Bei der Planung im Innenbereich spielt die Lichtverschmutzung ebenfalls eine Rolle. Präsenzmelder zum Beispiel schalten das Licht aus, wenn niemand mehr anwesend ist, oder dimmen es auf ein Orientierungslicht herunter. Doch es gibt noch weitere Aspekte, wie Sie in Ihrer Studie schreiben.

Das Gebäude sollte man immer von innen nach außen planen. Da gehört dann nicht nur die Lichttechnik mit hinein, sondern beispielsweise auch die Materialien, die in einem Neubau verwendet werden. Auch da hatten wir interessante Projekte in der Vergangenheit, wo wir viel mit den Materialien spielen und dadurch die Lichtemissionen reduzieren konnten. Dabei geht es nicht nur um wenig reflektierende Materialien, das ist sehr viel weitreichender und komplexer.

Ein Projekt war ein gläsernes Gebäude. Dort haben wir für die Fassade Gläser genommen, die den Blaupart im Lichtspektrum rausfiltern. Das ist dann wirklich interdisziplinäre Arbeit, die dort geleistet wird. Ich glaube, viele Leute haben einfach nicht auf dem Schirm, wie das Licht aus dem Gebäude nach außen geht und dass das einen Riesen-Impact hat. Ein Glas, das den Blauanteil rausfiltert, ist da natürlich Gold wert.

Sind Sie stolz auf Ihre Arbeit?

Ja, rückwirkend betrachtet schon. Woran ich ein bisschen nage, ist, dass ich am Ende oft denke, man hätte es vielleicht noch optimaler hinkriegen können. Aber grundsätzlich bin ich doch sehr stolz auf die Projekte. Gerade wenn da ein gewisser Innovationscharakter dahintersteckt. Und der Umweltaspekt ist eine große Motivation.

Herr Goronzcy, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Die Studie „Lichtverschmutzung in Metropolen“ von Emlyn Étienne Goronczy ist in deutscher und englischer Sprache erschienen und sowohl gedruckt als auch in digitaler Form erhältlich.

Ausführliche Informationen zum Thema finden sich außerdem auf zahlreichen Websites, zum Beispiel auf www.darksky.org